Das Wertschöpfungs-Hamsterrad

Veröffentlicht am 13. Dezember 2025 um 11:12

In der Wirtschaft spricht man von der Wertschöpfungskette. Der Begriff klingt nüchtern und vernünftig. Geordnet, linear, berechenbar: Rohes wird veredelt, Schritt für Schritt, bis am Ende ein fertiges Produkt steht. Eine saubere Metapher. Und doch verdeckt sie mehr, als sie erklärt.

Denn für den Einzelnen fühlt sich diese Kette selten wie etwas an, das man bewusst schmiedet. Sie fühlt sich an wie ein Hamsterrad. Ständig in Bewegung, ohne Ausstieg. Man läuft nicht, um irgendwo anzukommen, sondern um das Rad am Laufen zu halten. Der erzeugte Wert – Gewinn, Wachstum, Rendite – wird für viele Menschen nicht greifbar, nicht erfahrbar. Er entgleitet nach außen.

Das Hamsterrad ist zugleich ein Bild für einen Wachstumszwang, der keinen Ruhepunkt kennt. Kein Genug. Wer innehält, riskiert, herauszufallen. Wer weiterläuft, erhält die Illusion von Sicherheit. Doch genau diese Bewegung ist die eigentliche Fessel.

Hinzu kommt etwas Entscheidendes: Das System verlangt nicht nur Arbeit. Nachdem der Mensch seine Kraft in das Rad geworfen hat, muss er das Hervorgebrachte auch wieder konsumieren, damit es sich weiterdreht. Er hat das Produkt nicht nur hervorgebracht, er soll es auch selbst zurückkaufen – gleichsam den eigenen Schweiß in anderer Gestalt erneut erwerben. So wird er Produzent und Abnehmer zugleich, Treibstoff und Kunde in einem. Er arbeitet, um konsumieren zu können, und konsumiert, um weiterarbeiten zu müssen.

Aus der verheißungsvollen Idee der Wertschöpfung wird so eine Dynamik der Selbstverschlingung. Das Rad dreht sich, weil es sich drehen muss. Doch es trägt den Läufer nicht weiter. Es hält ihn gefangen – bis zur Erschöpfung.

Wenn man diesen Gedanken zulässt, drängt sich eine Frage auf: Gibt es einen Ausweg? Oder sind wir dazu verurteilt, in dieser Doppelbewegung aus Arbeit und Konsum zu verharren?

Ein möglicher Ansatz liegt darin, das Ziel des Wirtschaftens neu zu bestimmen. Nicht das Mehr um jeden Preis, sondern das Gute als Maßstab. In verschiedenen ökonomischen, ethischen und sozialphilosophischen Entwürfen taucht diese Idee immer wieder auf: dass wirtschaftliches Handeln sich daran messen lassen muss, ob es dem Gemeinwesen dient – nicht einem unbegrenzten Wachstum, das realistisch betrachtet weder ökologisch noch menschlich dauerhaft möglich ist.

Damit verändert sich das Bild. Das Rad muss sich nicht endlos drehen. Arbeit wäre dann nicht bloß Verbrauch von Lebenszeit, sondern könnte wieder als Beitrag verstanden werden. Konsum verlöre seine Zwanghaftigkeit und würde sich stärker am Notwendigen orientieren. Wachstum verlöre seinen Status als Selbstzweck und würde zu einer Frage des Maßes. Solche Perspektiven liefern keine fertigen Lösungen und keine einfachen Auswege. Aber sie verschieben den Blick. Weg von der Vorstellung, dass es kein Außen zum Hamsterrad gibt. Hin zu der Möglichkeit, Wirtschaft nicht nur effizienter, sondern auch sinnvoller zu denken.

Vielleicht beginnt Veränderung genau hier: nicht mit einem neuen System, sondern mit der Bereitschaft, das Ziel der Bewegung neu zu befragen.

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