Es gibt Sätze, die in ihrer Nüchternheit mehr Gewalt tragen als jedes laute Wort.
„Im Fall eines Krieges müssten geschätzt 1000 getötete oder verwundete Soldaten pro Tag ersetzt werden.“
So stand es da, in einem Nachrichtenartikel Ende Oktober 2025, sachlich, funktional, fast steril und doch ist es eine Sprache, die tötet, bevor ein Schuss fällt.
Denn wo von Ersetzung gesprochen wird, ist der Mensch bereits aus dem Denken verschwunden.
Das Individuum, das liebt, das zweifelt, das hofft und zugleich geliebt wird, vermisst wird, betrauert wird, ist ausgelöscht.
Es bleibt nur die Hülle, die Funktion.
Das Wort „ersetzt“ löscht das Ich ebenso wie das Du, denn es nimmt dem Menschen nicht nur seine Würde, sondern auch seine Beziehung zur Welt.
Die Sprache der Ersetzbarkeit vernichtet das Zwischenmenschliche, bevor sie den Körper vernichtet.
Es ist jene Denkform, die in der Moderne längst unsere Sicht auf die Welt durchdrungen hat - die Zweckrationalität.
Sie fragt nicht nach Sinn, sondern nach Funktion. Nicht nach Würde, sondern nach Verfügbarkeit.
Sie ist das Denken der Maschinen, das Denken des kalten Herzens.
Und der Krieg ist ihre konsequenteste Anwendung.
Im Frieden versteckt sich diese Haltung hinter betriebswirtschaftlichen Tabellen, im Krieg wird sie offen ausgesprochen.
Wie kann man liebenden Eltern erklären, dass ihr Kind aus zweckrationalen Gründen in den Tod geschickt werden muss?
Wie lässt sich das rechtfertigen vor einer Mutter, die jede Falte in der Hand ihres Kindes kennt, vor einem Vater, der dessen erstes Lachen noch im Ohr trägt?
Wie kann man sagen, dieser Tod sei „notwendig“, „strategisch“ oder „unausweichlich“ – als wäre das Leben eines Menschen eine Variable in einer Gleichung, die sich anders nicht lösen lässt?
Solche Worte sind kein Zeichen der Vernunft, sondern des moralischen Bankrotts.
Dass ein Mensch „ersetzt“ werden könne, ist der Gipfel dieser moralischen Regression.
Denn kein Mensch ersetzt einen anderen.
Jeder Verlust reißt ein Loch in das Gewebe der Welt, das niemand wieder flicken kann.
In jedem Gefallenen stirbt nicht nur ein Leben, sondern eine unzählige Zahl an Beziehungen, Erinnerungen, Möglichkeiten.
Wer von Ersetzung spricht, hat das Menschsein schon aufgegeben.
Hier berührt sich der Pazifismus mit der Ethik Immanuel Kants.
Denn Kant forderte, den Menschen niemals bloß als Mittel, sondern stets zugleich als Zweck an sich selbst zu behandeln.
Was er damit meinte, ist nichts Abstraktes, sondern der Kern jeder Moral:
Die Würde eines Menschen liegt nicht in seiner Funktion, nicht in seinem Nutzen, nicht in seinem Beitrag zur Gesamtheit. Sie liegt allein in seiner Existenz als denkendes, fühlendes Wesen.
Wer Menschen als „ersetzbar“ bezeichnet, hebt diese Würde auf und stellt das Zweckmäßige über das Menschliche.
Damit beginnt die Entmenschlichung, aus der jedes Grauen der Geschichte geboren wurde.
Vielleicht ist dies das eigentliche Kennzeichen des Pazifismus:
Nicht nur die Ablehnung der Gewalt, sondern der Widerstand gegen die Sprache, die sie ermöglicht.
Die Sprache, die Menschen zu Funktionen erklärt und Mitleid zu Schwäche umdeutet.
Pazifismus ist keine Naivität, sondern eine Form geistiger Klarheit, die Weigerung, das Ungeheuerliche zu normalisieren.
Denn im Denken beginnt das Töten, und nur dort kann es auch enden.
Wer aufhört, Menschen zu zählen, und wieder beginnt, sie zu sehen, hat bereits begonnen, den Frieden zu schaffen.
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