Es regnete als ich vom Einkaufen kam. Das Wasser lief über die Scheiben meines Autos, wischte die Welt weich, wie eine Erinnerung, die nicht ganz verschwinden will.
An der Kreuzung sah ich sie – eine Nachbarin, die ihre schweren Taschen nach Hause trug. Sie hatte mich noch nicht bemerkt. Ich aber sie.
Ich hätte anhalten können. Es wäre kein Umweg gewesen, keine Mühe, keine Last. Nur ein kurzer Moment der Aufmerksamkeit, ein kleines Innehalten. Und doch fuhr ich weiter.
Ich wusste warum: Nicht aus Bosheit, nicht aus Bequemlichkeit. Sondern, weil ich keine Kraft für Smalltalk hatte. Weil ich Stille wollte, nicht Nähe. Weil ich, in Wahrheit, mich selbst schützen wollte.
Als ich weiterfuhr, schämte ich mich. Ich fühlte mich ertappt. Nicht von ihr, sondern von mir selbst. In diesem Augenblick sah ich, wie brüchig mein Selbstbild war. Der freundliche, hilfsbereite Mensch, er war da, aber nicht allein. Neben ihm stand jemand, der Ruhe sucht, der sich abgrenzt, der nicht immer geben kann.
Vielleicht ist das die eigentliche Lektion: Güte ist kein Zustand, sondern eine Entscheidung und manchmal entscheiden wir uns dagegen, nicht aus Kälte, sondern aus Erschöpfung.
Doch der Regen fiel weiter, gleichmütig, still. Er verurteilte nicht. Er wusch nichts rein, aber auch nichts fort. Er erinnerte mich nur daran, dass Menschsein nicht darin liegt, immer richtig zu handeln, sondern den eigenen Irrtum zu erkennen – und zu spüren, wann Milde angebracht ist und wann Mut, beim nächsten Mal anders zu handeln.
Denn Einsicht ohne Veränderung bleibt nur Selbsttröstung, doch Härte ohne Mitgefühl wird zur Grausamkeit. Zwischen beiden aber liegt der Weg, auf dem wir wachsen.
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