Im Takt – Wenn allein der Körper denkt

Veröffentlicht am 10. November 2025 um 13:16

Seit Wochen hatte ich das Gefühl, abends nur noch abschalten zu können, wenn ein Bildschirm flimmert. Alles andere schien zu viel: lesen, nachdenken, sprechen – selbst Stille.
Aber gestern war anders.
Meine Frau und ich, wir waren tanzen – Paartanz.

Viele Jahre ist es her, dass wir als Achtzehnjährige zum ersten Mal gemeinsam Tanzkurse besucht haben. Damals war es ein romantisches Spiel, eine Form von jugendlicher Eleganz, die mehr über Nähe erzählte, als wir in Worte fassen konnten.

Jetzt, Jahrzehnte später, fühlt sich dieser Tanz an wie eine Rückkehr zu einem vergessenen Aspekt – nicht von uns als Paar, sondern auch von mir selbst.

Viele halten Paartanz heute für überholt oder zu formell. Andere finden, er sei zu „verkopft“, zu sehr vom Zählen und Nachdenken bestimmt. Und ja, am Anfang ist er das. Beim Lernen denkt der Kopf noch mit, will sich erinnern, will kontrollieren.

Doch irgendwann geschieht etwas:
Die Schritte werden rund, die Bewegungen selbstverständlich, und der Körper weiß plötzlich von selbst, was zu tun ist.

In diesem Moment beginnt der Körper zu denken – auf seine ganz eigene, wortlose Weise.
Er weiß, wann Nähe entsteht und wann Abstand gut tut, wann ein Schritt zu viel wäre.
Er weiß, dass es im Leben, wie im Tanz, nie um das perfekte Können geht, sondern um das aufeinander Eingestimmtsein.

Beim Tanzen wird der Kopf still.
Und für einen Augenblick ist alles einfach: Bewegung, Rhythmus, Vertrauen.
Vermutlich braucht jeder Mensch etwas anderes, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen.
Für mich war es an diesem Abend der Takt – dieses kleine Wunder, dass zwei Körper sich zur Musik im selben Rhythmus bewegen und für einen Moment alles andere verstummt.
Für eine Stunde war das Leben leicht – und das Hier und Jetzt genug.

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