Ein Spaziergang im Wald. Zwischen den Bäumen lag eine weggeworfene Tüte einer Fast-food-Kette. Ich sah sie, ärgerte mich über „die Menschen“ – und ging weiter.
Ein paar Schritte später blieb ich stehen.
War ich wirklich so viel besser, wenn ich einfach weiterging?
Ich hatte den Müll gesehen. Und doch tat ich nichts.
Ich ging weiter, trotzdem. Der Ärger wich einem leisen Brennen im Innern. Ich war nicht nur bequem. Ich ekelte mich. Ich wollte den Müll nicht anfassen. Aber der Gedanke ließ mich nicht los. Wie leicht war es, das Richtige zu erkennen – und wie schwer, es zu tun.
Schließlich drehte ich um.
Ich hob die Tüte auf, trug sie den Weg nach Hause und warf sie dort weg. Es war nur ein Handgriff, für viele selbstverständlich. Und doch hatte er sich angefühlt wie ein kleiner Sieg über mich selbst.
Es gibt Menschen, denen scheint es leichtzufallen, unmittelbar das Richtige zu tun. Doch vielleicht ist ihre Leichtigkeit nicht das Fehlen des inneren Kampfes, sondern sein Ergebnis. Menschen, die von klein auf gelernt haben, Verantwortung zu übernehmen, entwickeln eine Art moralischen Muskel. Sie handeln richtig, weil sie es geübt haben – nicht, weil sie besser wären. Ihr Zögern liegt in der Vergangenheit, längst in Haltung verwandelt.
Andere, wie ich, spüren den Widerstand noch, das Ringen zwischen Wissen und Tun. Sie erleben das Gute nicht als Gewohnheit, sondern als Entscheidung – immer wieder neu.
Aristoteles schrieb, Tugend entstehe durch Wiederholung. Wir werden gerecht, indem wir gerecht handeln, tapfer, indem wir tapfer handeln.
Das Gute ist keine Erkenntnis, sondern eine Übung. So formt sich Charakter – nicht im Denken, sondern im Tun.
Vielleicht liegt gerade darin das Menschliche: Nicht in der makellosen Selbstverständlichkeit, sondern im Innehalten, im Spüren der eigenen Bequemlichkeit, im bewussten Schritt über die innere Grenze hinweg.
Denn wo kein Ringen ist, da ist auch keine Freiheit. Und ohne Freiheit keine moralische Würde.
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