Man sagt oft, man habe mit seinen Dämonen zu kämpfen. Das Bild ist stark – und zugleich irreführend. Denn es suggeriert einen äußeren Feind, einen Kampf, einen möglichen Sieg. Doch wer genauer hinsieht, merkt schnell: Diese Dämonen sind keine Fremden. Sie sind alt. Sie sind vertraut. Und sie haben uns oft lange gedient.
In der Literatur sind Dämonen meist eindeutig verortet: Diener des Teufels, Verkörperungen des Bösen, paktgebunden, unversöhnlich. Wer ihre Hilfe annimmt, zahlt einen klar benannten Preis – häufig die Seele. Doch dieses Bild passt nur bedingt zu jenen inneren Kräften, die uns antreiben, schützen, manchmal auch fehlleiten.
Ein anderes literarisches Motiv ist dafür überraschend präzise – und stammt aus dem Märchen Rumpelstilzchen. Hier begegnet uns kein allmächtiger Teufel, sondern ein dunkles, listiges Wesen. Es hilft in einer existenziellen Notlage. Es verlangt eine Gegenleistung. Und lange bleibt unklar, wie groß der Preis wirklich ist. Die Macht des Rumpelstilzchens beruht nicht auf Stärke, sondern auf Anonymität: auf seinem Namen.
Sobald er ausgesprochen wird, ist die Macht gebrochen. Kein Kampf. Keine Strafe. Nur Erkenntnis.
Das ist psychologisch bemerkenswert präzise.
Unsere inneren Dämonen funktionieren oft genauso. Sie entstehen nicht aus Bosheit, sondern aus Notwendigkeit. Aus Angst. Aus Verantwortung. Aus dem Wunsch, zu bestehen. Und sie tragen Namen – auch wenn wir sie lange nicht aussprechen:
Der Perfektionismus, der einst half, Anerkennung zu sichern, und uns heute lähmt, weil nichts je gut genug ist.
Die Überverantwortung, die uns stark gemacht hat, als niemand sonst trug – und die uns heute nicht mehr loslässt.
Der innere Kritiker, der vor Fehlern schützen wollte und inzwischen jede Freude kommentiert.
Das Misstrauen, geboren aus früher Enttäuschung, das Nähe verhindert, obwohl keine Gefahr mehr droht.
Oder die Kontrolle, die Sicherheit versprach und Freiheit gekostet hat.
Diese Dämonen fordern keinen expliziten Vertrag. Sie verlangen keine Unterschrift. Sie nehmen sich Macht dort, wo wir sie ihnen stillschweigend überlassen. Der eigentliche „Seelenverkauf“ geschieht nicht in einem dramatischen Moment, sondern schleichend – wenn Muster unbefragt bleiben, wenn wir sagen: So bin ich eben.
Wie im Märchen wird der Preis erst spät sichtbar. Und wie im Märchen liegt die Lösung nicht im Kampf, sondern im Benennen. Den Dämon beim Namen zu nennen heißt nicht, ihn zu verurteilen. Es heißt auch nicht, ihn loszuwerden. Es heißt, ihn einzuordnen. Ihm seinen Platz zuzuweisen. Nicht als Herrscher, sondern als Teil einer Geschichte, die weitergeht.
Vielleicht ist das innere Wachstum genau das: Nicht die Illusion, keine Dämonen mehr zu haben – sondern die Fähigkeit, sie zu erkennen, wenn sie auftreten, und ruhig zu sagen: Ich weiß, wie du heißt. In diesem Moment geschieht nichts Spektakuläres. Es öffnet sich kein Abgrund, in dem das Wesen verschwindet, wie im Märchen. Aber etwas Entscheidendes geschieht dennoch: Die eigene Macht kehrt zurück, weil der Dämon gesehen wurde.
Das erscheint mir die leise Wahrheit hinter vielen alten Geschichten:
Nicht das Böse wird besiegt – sondern das Namenlose verliert seine Herrschaft.
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