Über Hierarchien der Anerkennung

Veröffentlicht am 26. Dezember 2025 um 22:22

Manchmal beginnt ein Gedanke an einem völlig unscheinbaren Ort. In einer Umkleide im Gym. Eine offenstehende Tür. Ein kurzer Moment der Irritation.

Ich schließe die Tür und denke – leicht polemisch, eher zu mir selbst als zu jemand anderem: Ich möchte mich nicht in der Öffentlichkeit ausziehen. Der Gedanke geht weiter. Vielleicht würde ich es wollen, wenn ich aussähe wie einer der gekürten „Sexiest Men Alive“?

Und fast im selben Moment korrigiere ich mich. Nein – es ginge nicht darum, so auszusehen wie er, sondern um die Anerkennung, die jemand wie er – ein Film- oder Popstar – allein durch diese Handlung erhielte.

In diesem kleinen Gedankensprung liegt bereits viel von dem, was mich seither beschäftigt. Es geht nicht um die äußere Form, nicht um den Körper an sich, sondern um die soziale Zuschreibung, die an ihn geknüpft ist. Dieselbe Handlung – sich zeigen, sichtbar sein – wird je nach Person völlig unterschiedlich gelesen. Anerkennung ist nicht neutral. Sie haftet nicht an dem, was getan wird, sondern an dem, wer es tut. 

Diese Einsicht taucht auch in anderer Gestalt auf. In Gesprächen und beiläufigen Beobachtungen lässt sich immer wieder erkennen, wie unterschiedlich Blicke erlebt werden. Wenn sie von als attraktiv wahrgenommenen Menschen ausgehen, werden sie meist als schmeichelhaft gelesen. Gehen sie von als unattraktiv wahrgenommenen Menschen aus, lösen sie Abwehr, gar Angewidertsein oder negative Zuschreibungen aus. Die Handlung ist identisch. Die Bewertung nicht.

Es ist unbequem, das auszusprechen, weil es unser moralisches Selbstbild irritiert. Doch es verweist auf etwas Grundsätzliches: Begehren und Anerkennung folgen sozialen Hierarchien. Moralische Deutungen treten nicht selten erst nachträglich hinzu. Nicht der Blick an sich ist das Problem, sondern die fehlende Autorisierung dessen, der blickt.

Der Wert der Anerkennung entsteht weniger durch die Handlung selbst als durch die Person, von der sie ausgeht.

Auch das eigene Erleben lässt sich davon oft nicht trennen. Anerkennung scheint nicht nur eine Frage des Wahrgenommen-Werdens zu sein, sondern auch der Bedingungen, unter denen sie gegeben werden kann. Nicht selten zeigt sie sich eher dort, wo sie keine Erwartungen oder Verpflichtungen nach sich zieht, und fehlt ausgerechnet dort, wo man sie sich manchmal wünscht – auch, um sich selbst als attraktiv oder begehrenswert zu erleben.

Was sich zunächst wie Kränkung anfühlen mag, lässt sich auch anders lesen: nicht als Mangel an Wert, sondern als Ausdruck der Risiken, die Anerkennung in bestimmten Konstellationen mit sich bringt. Dort, wo sie missverstanden werden könnte, zieht sie sich zurück. Dort, wo sie folgenlos ist, wird sie möglich. Nicht jede Zurückhaltung ist Ablehnung. Manches bleibt unausgesprochen, weil es zu viel bedeuten würde.

Und vielleicht sagt ihr Geben oder Ausbleiben manchmal mehr über die Welt als über uns.

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